17. Oktober 2008
Dreaming Oak
14. Oktober 2008
Old Man Pine
29. September 2008
Der gelbe Umschlag
Mit Unschuldsmiene hocken die Zeitungsbündel auf dem Rücksitz. Noch haben sie nicht damit geprotzt, wie schwer sie sein können, vor allem dann, wenn man sie während der Fahrt nach vorne hievt. Es riecht nach frischer Druckfarbe. “Stuczynski”, rufen sie. “Stuczynski Wins Silver in Olympic Pole Vault!”
Der gelbe Umschlag ist jetzt wichtiger. Den händigt der Truckfahrer zum Schluß aus. In ihm stecken alle wichtigen Informationen zur heutigen Route.
Oh wundervolle, wundervolle Route, singt Jack, während er den Umschlag öffnet.
Ein Kunde spendiert 1 Dollar Trinkgeld.
Die Andersons sind umgezogen.
Die Taylors wechseln von 7x zu 2x, sie bekommen die Zeitung jetzt nur noch am Samstag und am Sonntag - und ungefragt an denjenigen Tagen, welche der C&D als Feiertag festlegt. Das kostet extra Gebühren; im Vertrag wird der Kunde nicht darauf hingewiesen, daß er die Zustellung von Sonderausgaben ablehnen kann.
Die Smiths - von Beruf Snowbirds - sind zurück und wollen 5x - also nur wochentags.
Der gelbe Umschlag weiß nicht alles.
Hat zum Beispiel die alte Lady in der Aalstraße endlich ihre Box geleert?
Wo sind heute nacht die Hirsche? Versammeln sie sich auf ihrer Lieblingsweide, bleiben sie unsichtbar, naschen sie wieder aus den Blumenkästen vor den Fenstern des Hauses Nr. 1788, lugen sie aus dem Straßengraben hervor, sprinten sie im allerletzten Moment quer über die Straße, oder hechten sie zurück in den sicheren Wald? Bleiben die Zeitungstürme dann auf dem Rücksitz stehen, oder fallen sie in sich zusammen wie ein Kartenspiel, das neu gemischt wird?
Sind die Cops unterwegs heute nacht?
Hört man die Zikaden singen?
Sind die Ahornbäume auf dem kleinen Friedhof bei French Hill schon für die Saftgewinnung angezapft?
Ist das verlassene Haus an der Porter Road versteigert worden?
Werden die Radlager durchhalten?
Wird es regnen, stürmen, schneien?
Hat der Bewohner des ‘Hauses der sieben Lichter’ endlich die achte Glühbirne erneuert?
Der gelbe Umschlag fliegt in den Fußraum. Wir werden sehen!
30. März 2008
Der Tabak-Kauer
Immer, wenn der Tabak-Kauer aus dem Auto steigt, wundere ich mich, wie lange er das noch machen wird. Ich bin da sicher nicht die einzige. Meistens ist er der erste oder zweite in der Schlange der Fahrer, die auf den Truck warten.
Es ist jede Nacht das gleiche.
Manchmal liegt schwerer Nebel über dem Platz. Manchmal bläst ein scharfer, frostiger Wind. Manchmal regnet es. Dann spiegelt sich das Licht der Straßenlaternen orangefarben in den Pfützen und auf dem nassen, schwarzen Teer, und die dunklen Konturen des vor uns stehenden Wagens zerfließen mit den Tropfen auf unserer Windschutzscheibe.
Die Fahrer sind das Wetter gewohnt. In kalten Nächten lassen sie die Motoren laufen. Die Lichter bleiben ausgeschaltet, bis der Truck um die Ecke biegt. Sonst ist niemand da. Es gibt nur die zwei breiten, ringsum von Garagentoren gesäumten Gassen. Hier wird die druckfrische Ausgabe des C&D an die Zeitungskuriere verteilt. Jeder hat eine andere Route zu fahren; manche davon führen weit hinaus, tief in die einsamen Ecken und Winkel von Steuben County, und dauern bis zum Morgengrauen.
Es kann passieren, daß ein Fahrer beim Warten einschläft und nicht aufwacht, wenn der Truck da ist. Dann ziehen diejenigen, die hinter ihm stehen, an ihm vorbei, und falls der letzte nicht an seine Scheibe geklopft hat, tut es der Truckfahrer. Es ist kurz nach Mitternacht; die meisten haben noch einen Hauptjob, den sie tagsüber ausüben. Ein zweiter Job wird bei der Einstellung dringend empfohlen. Die Bezahlung ist schlecht, kein Mensch kann wirklich davon leben.
Diejenigen, die noch später kommen, finden ihre gestapelten Bündel in der vom C&D angemieteten Garage. Dort steht auch der Container zur Entsorgung übriggebliebener Zeitungen und Prospekte.
Oft steigen die Fahrer aus und stehen zusammen, um zu ratschen. Der Tabak-Kauer bleibt im Auto sitzen. Nicht, daß er nichts zu sagen hätte; die anderen scharen sich mit Vorliebe um sein geöffnetes Wagenfenster. Seine Stimme ist die lebhafteste und sein Lachen das lauteste von allen. Dann scheint es, als zittere und bebe sein Wagen.
Einer der Fahrer schiebt jetzt das Garagentor hoch. Das heisere Rasseln vermischt sich mit dem Knallen von Autotüren, dem Brummen der wieder angelassenen Motoren und dem Quietschen von Bremsen, als der Truck neben der Garage zum Stehen kommt. Scheinwerfer flammen auf. Der Truckfahrer springt aus dem Führerhaus und öffnet die seitliche Schiebetür. Die Schlange setzt sich in Bewegung.
Wenn er nicht Zeitungen ausfahren würde, sagt der Tabak-Kauer, würde er nur vor dem Fernseher sitzen. Die Zeitungstour hält ihn am Leben. Er ist schon sechzig, aber seine Haare sind noch dunkel. Sie hängen unter dem Rand seiner Schiebermütze in den Nacken wie Algen aus einem Schiffswrack. Er trägt immer die gleiche Mütze. Er hat Diabetes.
Während er sich aus dem Auto wuchtet, ächzt die Karosserie und federt dann, vom Gewicht befreit, nach oben. Autos haben ihre eigene Sprache. Sie sprechen Dinge aus, für die ihre Besitzer keine Worte haben, und werden, wie in einer alten Ehe, ohne viel Worte verstanden.
Der Tabak-Kauer spuckt auf den Boden; er schwankt, eine Hand am Kotflügel abstützend, die andere zur Balance schlenkernd, um den Wagen herum zur rechten hinteren Tür, öffnet sie, packt die Zeitungsbündel, die auf der Ladefläche des Trucks bereitliegen, am Halterband, eines nach dem anderen, und wirft sie, als wären es schwerelose Bälle, ins Wageninnere; dort türmen sie sich zu einem Berg. Mit jedem Bündel sinkt das Heck tiefer.
Dann beginnt die Route.
29. März 2008
Frontier
28. März 2008
Alles weiß
Schneestürme finden hier ohne großes Heulen und Zähneklappern statt; man hört nichts als stundenlanges, stetes Rieseln. Das sind die Schneeflocken. Ihre kriegerische Natur zeigt sich im Resultat: Notstand wird ausgerufen; rotbackige Nachbarn räumen Schnee, anstatt im Büro zu hocken; die Schulen schließen; und so weiter.
Aus dem Material, welches der Spaßvogel Winter über Nacht so verschwenderisch ausgekippt hat, könnte ich eine ganze Armee aus Schneemännern bauen, Legionen blendend weißer Prachtburschen, alle mit Stöcken und Besenstielen bewaffnet. Die schicke ich dann in den Wahlkampf. New York kann derzeit bestimmt ganz gut ein paar echte Saubermänner gebrauchen.
Nach ein, zwei sonnigen Tagen wäre der Spuk allerdings wieder ganz schnell vorbei.
10. Februar 2008
Europa, du Glorreiche
Ich stehe an der Bushaltestelle in Bath. Der einsetzende Nieselregen malt feine, sich kreuzende Linien in die Wasserlachen.
Über New York wird wahrscheinlich mehr berichtet als über das hinterländische Bath, deshalb überspringe ich das Kapitel ‘Mit dem Shortline-Bus nach New York und zurück’. Shortline kann hier jeder selbst googeln. Ich will mich auch nicht über Manhattans Last-Minute-Wahlkampanien verlieren, noch abschweifen, indem ich über die 300 Straßenkehrer schreibe, welche nach der Riesen-Sieger-Parade 36,5 Tonnen Konfetti zusammenfegten, obwohl sie das verdient hätten; geschweige denn über die akustischen Schrullen eines Brooklyner Heizkörpers. New York City ist ein Heuhaufen von ungefähr 206 Millionen Suchergebnissen, was wollte ich eigentlich sagen?
Eine Bö kickt den aufgespannten Regenschirm, den jemand im Eingang der Reinigung abgestellt hat, in die Seite; jetzt tanzt er über den Gehweg.
Die Reinigung befindet sich gleich neben der Bushaltestelle. Diese ist eigentlich eine Tankstelle, aber mit so viel Drum und Dran ausgestattet wie fast alles hierzulande. Man erhält Bustickets, heißen Kaffee, Zeitschriften, Lotterielose. Die Leute kommen zum Ratschen, wie zum Beispiel Joey, ein junger Schwarzer, den ich hier nur so nenne, weil ich nicht weiß, wie er in Wirklichkeit heißt.
“Hallo, wie geht’s”, sagt er im Vorbeischlendern.
“Wunderbar”, sage ich. Gerade habe ich den nassen Schirm eingefangen und wieder in den überdachten Eingang gestellt, unter dem auch ich Schutz suche. Ich warte darauf, abgeholt zu werden. In einem Nest wie Bath fällt man als Fremder auf, vor allem, wenn man länger als fünf Minuten im Regen steht.
“Ist das dein Schirm?” fragt Joey.
Ich habe bisher nur wenige Schwarze in Bath gesehen, und noch nie hat mich ein Bather angesprochen.
“Nein”, sage ich, “er gehört dem Wind!”
Joey hat keine Lust weiterzugehen. Die Straße ist bis hinter zur letzten Kreuzung von parkenden Autos gesäumt, aber die hat er alle schon auf dem Herweg studiert.
“Kann ich dich vielleicht irgendwohin einladen?” fragt er.
“Nein danke, wirklich nicht, ich werde gleich abgeholt”, sage ich.
“Ich kann dich ja nach Hause fahren”, bietet Joey an. “Das mache ich gerne!” Sein Blick schweift über meine Figur. Ich muß lachen. Ich könnte locker seine Urgroßtante sein!
“Nein, die kommen sicher jeden Moment”, sage ich.
“Wo kommst du eigentlich her? Du hast so einen komischen Akzent!” fragt Joey.
“Aus Europa.”
Joey grinst noch breiter. Er tänzelt ein paar Schritte rückwärts und wirft dabei die Arme hoch.
“Ich hab’s gewußt”, ruft er, “ich hab’s gewußt! Aus Europa! Aus Europa! Ja! Ja!! Jaaa!!!”
Sein Team hat gewonnen, absolut.
Meines auch! Es heißt Bath, hier ist ein kleiner Link zum Abschied.
8. Februar 2008
Hinterland Blues
5. Februar 2008
Tut-tut! Hier gibt es (fast) alles für (fast) jeden
Rasenmäher, Ladegeräte, Generatoren, Kapuzenshirts, kuschelige Bademäntel, Arbeitsstiefel, Wohnzimmerschränke, Drehstühle, Himbeeren aus Mexiko, kalifornische Blaubeeren, hawaiianischer Zaubertrank, Zucker in Säcken und Salsa in Containern, Computer, Bildschirme, Plastikgabeln im Tausender-Karton, Torten in Regenbogenfarben, Baseball-Tore auf soliden Stahlständern, Granatapfelsaft - es gibt fast alles bei Sam’s Club, meistens jedoch nur jeweils eine Sorte. Es gibt zum Beispiel nur eine Sorte Klavier, eine Sorte Digital-Schlagzeug, eine Sorte Gitarre, und das Schaustück hat eine angeschlagene Ecke. Es gibt nur eine Sorte Holzfällerjeep für Waldbesitzer. Tut-tut! Der Lagerist fährt eine Elektrolok durch die Reihen, auf deren Anhänger sich die Paletten türmen.
Die Mitgliedschaft im Club kostet etwa fünfzig Dollar im Jahr. Wenn das nichts ist!
An jeder Ecke steht ungefähr eine fidele Seniorin, welche mit geheimnisvollem Lächeln pfiffig kreierte Häppchen anbietet. Die Einkaufswägen sind kobaltblau und güterwagengroß. Hinten ragen die Tiefkühlvitrinen in die Höhe wie die Mauern einer Reihenhauszeile. Darüber knallt in zinnoberroten Riesenlettern: “Meat”. Fleisch!
Wer selbst das nicht lesen kann, ist zum Sehtest auf der gegenüberliegenden Seite eingeladen.