6. August 2008
Schlagsahne
Das Zeichnen von Objekten ist in vieler Hinsicht aussichtsreicher als die mühsame Pflastermalerei, die ich vor ungefähr hundertfünfzig Jahren betrieben habe. Wenn nicht gerade im Auto, so sitze ich doch auf einem einstöckigen Klapphocker; auch das mobile Zeichenstudio, eine Konstruktion aus Pappkarton, die mit Plastikröhrchen und Gafferband hochfrisiert wurde, läßt weder Ausreden gelten noch Wünsche offen.
Zwei gutgelaunte türkische Jungs im besten Mannesalter fragen, ob sie mir mal über die Schulter schauen dürfen. Nachdem sie in Richtung Spreewaldbad weitergeschlendert sind, parkt ein Auto direkt vor meiner Nase ein. Das entgeht auch den Jungs nicht. Ich verweise den Fahrer auf die besonderen Umstände, welche seinen Wagen zu einem nur schwer zu durchdringenden optischen Hindernis machen, mit der Bitte, doch ein paar Meter weiterzufahren, welcher er amüsiert folgt.
“Das haben wir gesehen, dem hätten wir echt eine reingehauen, aber voll!” empören sich die Jungs.
Das ist gut gemeint, aber ich mache es anders. In Zukunft wird anstelle jeden Autos ein weißer Fleck zu sehen sein. Weiße Straßen glänzen dann im Licht des Hochsommers. Vor dem Fußgängerweg über die Wiener Straße staut sich bei Rot eine schneeweiße Masse. Schlagsahne, Puffwölkchen, Schaumkronen, Schnee - alles, nur keine Autos! Und über den Spreewaldplatz streichen Winde, die an nichts anderes stoßen als Bäume, Büsche, Menschen, Tauben, Hunde, Fahrräder, Poller (war da mal was?) und ein pixeliges, dickliches, ganz und gar nicht weißes Gebäude; damit sind wir zurück beim Spreewaldbad.
Das Sahnehäubchen dort drüben war früher mal ein schwarzer Toyota.
28. März 2008
Alles weiß
Schneestürme finden hier ohne großes Heulen und Zähneklappern statt; man hört nichts als stundenlanges, stetes Rieseln. Das sind die Schneeflocken. Ihre kriegerische Natur zeigt sich im Resultat: Notstand wird ausgerufen; rotbackige Nachbarn räumen Schnee, anstatt im Büro zu hocken; die Schulen schließen; und so weiter.
Aus dem Material, welches der Spaßvogel Winter über Nacht so verschwenderisch ausgekippt hat, könnte ich eine ganze Armee aus Schneemännern bauen, Legionen blendend weißer Prachtburschen, alle mit Stöcken und Besenstielen bewaffnet. Die schicke ich dann in den Wahlkampf. New York kann derzeit bestimmt ganz gut ein paar echte Saubermänner gebrauchen.
Nach ein, zwei sonnigen Tagen wäre der Spuk allerdings wieder ganz schnell vorbei.
7. November 2007
Jäger im Schnee
Der Walmart in Geneseo ist wild dekoriert mit ausgestopften Bären und Hirschen. Es ist Jagdsaison. In der Waffenabteilung wimmelt es von bärtigen, sich gewichtig gebenden älteren Herren. Die Kleiderständer quellen über von Camouflage-Kleidung, von Mützen, Jacken, Hosen, Handschuhen, Overalls, in den Regalen stapeln sich faltbare Jägerstände, Rucksäcke, Sitzkissen, alles im militärischen Farn-Unterholz-Design. Die Patronen im Sonderangebot sind fast ausverkauft.
Am frühen Vormittag hören wir Schritte vor dem Trailer und kurz darauf ein kräftiges Klopfen an der Tür. Es ist Kevin, der Jäger. Er ist der einzige, der im Hollow jagen darf, und das auch nur mit Pfeil und Bogen. Durch die geschlossene Tür hindurch berichtet er von Bärenspuren, die bis vor unseren Trailer führen. Das Bett steht direkt an der Tür, und so bleiben wir während der Unterhaltung einfach liegen. Normalerweise würde Kevin nie auch nur in Sichtweite des Trailers kommen. Aber es hatte geschneit in der Nacht, und die dünne weiße Schicht machte den Wald zu einem aufgeschlagenen Buch. Offensichtlich war er den Spuren gefolgt und wollte uns warnen.
Wir bedanken uns für die Auskunft und gähnen. Es ist sowieso viel zu früh zum Aufstehen.
Durch das große Fenster, direkt vom Bett aus, sehen wir den Jäger durch den Wald davonstapfen. Mit dem High-Tech-Bogen über der Schulter sieht er aus wie ein neuzeitlicher Soldat. Auch er ist ganz in Camouflage gekleidet. Nur die Pfeilschäfte leuchten signalrot. Er verschwindet wieder, wie kurz darauf auch der Schnee.