Was man hier nicht sieht, sind Bremsen. Sie hausen in den getrockneten Kuhfladen, mit denen die Wiese gepflastert ist. Tritt man auf einen, hat man erstens einen guten Grund, zweitens seine Schritte beim Wettlauf sorgfältiger zu plazieren.

Was man drittens nicht sieht, sind Störche im Gleitflug, die Rücken einer Kuh-Gesellschaft, die Achterbahnkurven der Schwalben, Grashüpfer in feschen grünen Anzügen, den hellen Sand auf einem schnurgeraden Feldweg, die Brennesseln im dunklen Schilf, die Spree und patsch! da war schon wieder eine.

6. August 2008

Schlagsahne

Das Zeichnen von Objekten ist in vieler Hinsicht aussichtsreicher als die mühsame Pflastermalerei, die ich vor ungefähr hundertfünfzig Jahren betrieben habe. Wenn nicht gerade im Auto, so sitze ich doch auf einem einstöckigen Klapphocker; auch das mobile Zeichenstudio, eine Konstruktion aus Pappkarton, die mit Plastikröhrchen und Gafferband hochfrisiert wurde, läßt weder Ausreden gelten noch Wünsche offen.
Zwei gutgelaunte türkische Jungs im besten Mannesalter fragen, ob sie mir mal über die Schulter schauen dürfen. Nachdem sie in Richtung Spreewaldbad weitergeschlendert sind, parkt ein Auto direkt vor meiner Nase ein. Das entgeht auch den Jungs nicht. Ich verweise den Fahrer auf die besonderen Umstände, welche seinen Wagen zu einem nur schwer zu durchdringenden optischen Hindernis machen, mit der Bitte, doch ein paar Meter weiterzufahren, welcher er amüsiert folgt.
“Das haben wir gesehen, dem hätten wir echt eine reingehauen, aber voll!” empören sich die Jungs.
Das ist gut gemeint, aber ich mache es anders. In Zukunft wird anstelle jeden Autos ein weißer Fleck zu sehen sein. Weiße Straßen glänzen dann im Licht des Hochsommers. Vor dem Fußgängerweg über die Wiener Straße staut sich bei Rot eine schneeweiße Masse. Schlagsahne, Puffwölkchen, Schaumkronen, Schnee - alles, nur keine Autos! Und über den Spreewaldplatz streichen Winde, die an nichts anderes stoßen als Bäume, Büsche, Menschen, Tauben, Hunde, Fahrräder, Poller (war da mal was?) und ein pixeliges, dickliches, ganz und gar nicht weißes Gebäude; damit sind wir zurück beim Spreewaldbad.
Das Sahnehäubchen dort drüben war früher mal ein schwarzer Toyota.

Unter kri-kri sind alle Geräusche zusammengefaßt, die am frühen Abend durch ein Neuköllner Küchenfenster (irgendwo im Universum) dringen. Quellenindex (nicht vollständig) in alphabetischer Reihenfolge; Hauptverursacher sind hervorgehoben.

Akkordeonspieler osteuropäischer Herkunft
Bassist afrikanischer Herkunft
Boeing 737-700 (vermutet)
Boeing 737-800 (vermutet)
Eurocopter
Fahrräder
Geschirr
Mauersegler

PS. Einer Beobachtung Flann O’Brians zufolge haben Fahrräder ein Eigenleben. Das gleiche soll hier für Geschirr gelten. Eurocopter werden vorläufig mit in Betracht gezogen.

5. August 2008

Heute mit Sofa

Wo sind hier eigentlich die Leute?

Überall! Sie lümmeln auf dem Sofa, während der Mittag sich vor lauter Hitze überschlägt.
Sie schlendern, hüpfen, tänzeln, schlurfen, radeln durch das Bild, sie führen ihre Hunde aus, sie schleppen Tüten, Rucksäcke, Sperrholzplatten, sie fahren im Kinderwagen vorbei oder im Rollstuhl, sie füllen die Straße mit Gelächter, mit exotischem Singsang, mit am Handy geführten Küchentisch-Konversationen, mit kleinen Dramen, deren Sätze im Vorbeigehen fallen wie das trockene Laub des namenlosen Straßenbaums direkt vor mir, ohne Anfang und ohne Ende.
“Was machen Sie da überhaupt?” fragt mich eine ältere Dame, die sich an der auf dem Gehweg abgestellten Vespa vorbei an mich heranpirscht. “Wir sehen Sie schon die ganze Zeit von unserem Balkon aus!”
Das ist nicht so schwer zu erklären. Der Beifahrersitz meines geparkten Autos ist mein Arbeitsplatz. Ich halte den Zeichenblock hoch. “Das ist ja die Straße”, sagt sie, “sogar mit Sofa!”
Dieses ist wenig später verschwunden. Statt dessen steht ein zerfledderter Sessel vor dem übernächsten Eingang. Auch das Fahrrad lehnt nicht mehr an der Wand. Die leeren Weinflaschen sind inzwischen umgekippt. Sie waren so oder so nicht auf der Zeichnung.
Es riecht nach Hundekacke.*

*Anm.: Als Schlußsatz völlig ausreichend!

17. Juli 2008

Die Kunst des Filterns

Auf der Suche nach einem alpinen Motiv, einem schattigem Parkplatz und ein paar Stunden Ruhe (in dieser Reihenfolge) stößt man während jeder Phase ganz unweigerlich auf frustrierende Elemente, die flugs ausgefiltert werden wollen.

Wenn das nur so einfach wäre!
Hier zum Beispiel donnern mächtige Ausflugsbusse voller schwitzender Reisender quer durch die Szenerie; sie kommen in Endlosschleifen von rechts und von links und reichen bis knapp unter den oberen Bildrand. Die Staubhosen, welche sie aufwirbeln, sind mit den bitteren Schwaden ihrer Auspuffgase angereichert. Motorradfahrer hingegen verdecken gerade mal die vordersten Reihen des Tannengrüns, dafür hört man das Dröhnen ihrer schweren Maschinen über eine Distanz von mindestens fünfundvierzig (sauber hingelegten) Kurven. Es gibt nur diese eine Straße; sie ist der Trichter, ich filtere.
Wumm! Wumm! Wumm! Wumm! Wumm!
Auf dem fernen Gipfel* indes herrscht Ruh’; als ob es da sonst nichts zu tun gäbe.

*Zugspitze oder Watzmann?

Ich sehe was, was du nicht siehst, und seine Farbe ist grau;
sein Leib ist steinern, sein Wesen verborgen,
seine Stimme der Schlag der Glocke bei Tag und bei Nacht
und der Schrei des Falken, den er beherbergt.

28. März 2008

Alles weiß

Schneestürme finden hier ohne großes Heulen und Zähneklappern statt; man hört nichts als stundenlanges, stetes Rieseln. Das sind die Schneeflocken. Ihre kriegerische Natur zeigt sich im Resultat: Notstand wird ausgerufen; rotbackige Nachbarn räumen Schnee, anstatt im Büro zu hocken; die Schulen schließen; und so weiter.
Aus dem Material, welches der Spaßvogel Winter über Nacht so verschwenderisch ausgekippt hat, könnte ich eine ganze Armee aus Schneemännern bauen, Legionen blendend weißer Prachtburschen, alle mit Stöcken und Besenstielen bewaffnet. Die schicke ich dann in den Wahlkampf. New York kann derzeit bestimmt ganz gut ein paar echte Saubermänner gebrauchen.
Nach ein, zwei sonnigen Tagen wäre der Spuk allerdings wieder ganz schnell vorbei.