8. Dezember 2007
Nußecken-Romanze
Wer mehr über die Gelungenheit einer Liason von Bäckerei und Poststelle wissen will, braucht nur zum Huber zu gehen.
Hier gibt es außer Backwaren zum Beispiel auch Altarkerzen, Bindfaden, Melkfett, Streichhölzer, Pflaster, Schulhefte, Kinderkleidung, Plastikspielzeug, Lebensmittel und Produkte der Regenbogenpresse. Auf dem Tisch neben der Tür stehen drei gefällig arrangierte Lebkuchenpackungen. Auch in den Regalen ist alles nur lose verteilt - als ob sich die Waren nicht mal ansatzweise Mühe gäben, die Rostflecken verbergen. Oder ist es Mäusedreck? Oder verschimmelte Sabber-Reste vom Schäferhund? Unter der kahlen, neonbeleuchteten Decke hängt schwer und penetrant der Geruch von Backduftstoffen. Der Postschalter befindet sich gleich bei der Eingangstür.
Bevor die Huberin die Szene betritt, späht sie mißtrauisch aus dem Nebenraum. Kundschaft? Säuerlich nimmt sie meine zwei Briefe entgegen. Zunächst einmal wird gewogen.
Von manchen Menschen heißt es, jeder ihrer Gedanken, sofern einmal gefaßt, werde im gleichen Moment ausgesprochen. Was aber, wenn sie schweigen?
“Da hammer 55, des is normal,” sagt sie. “Der andere kostet normal 1,45, ja, des is normal.” Sie studiert Adresse und Absender. Stumm bewegen sich ihre Lippen. Dann pappt sie mit wichtiger Miene die Marken auf.
In den Vitrinen neben dem Postschalter lagert eine Geröllhalde aufgeblähter Semmeln. Daneben stapeln sich die Nußecken. Sie sind heute überwältigend groß. Man könnte Städte damit bauen! Zumindest ein Schloß … eine Festung aus dreieckigen Backsteinen, mit Türmen, Zinnen und Sälen, ausladend wie Montagehallen.
Das Regime auf Schloß Nußeck führt die schwer überkandidelte Prinzessin Rumaroma. Sie wird umworben von den heiratslustigen Gesellen Prinz Palmin und Prinz Glasur, fettig der eine, zuckerig der andere; wichtigtuerisch sind sie alle beide.
Wem wird die Prinzessin heute ihre Gunst gewähren? Welchen der beiden wird sie zuerst küssen?
Auch die Huberin schürzt jetzt ihre Lippen. Sie hebt das Kinn. Durch ihre Lesebrille hindurch fixiert sie die Marke. Dann läßt sie den Stempel herabsausen. Es gibt einen leichten Knall, gefolgt von einem zweiten.
So geht es auch.
Jetzt kann die Post abgehen. Keine weiteren Fragen mehr!
5. Dezember 2007
Weihnachten, wir kommen
Manche Geschichten beginnen wie eine planlose Fahrt ins Nichts-Genaues-weiß-man-nicht. Exakt. Also bloß nicht nachdenken! Nicht nachdenken … irgendwas wird dann schon passieren. Ich weiß nur noch nicht wann, wo und warum.
Die Ihle-Verkäuferin zum Beispiel legt die heißen, frisch auf dem Ofen genommenen Semmeln zum Auskühlen auf einen Gitterrost. Die Semmeln duften herrlich - zwar nicht nach Lebkuchen, aber nach Backstube und Behaglichkeit. Draußen trotzt die eingezäunte Herde der Weihnachtsbäume dem eisigen Ostwind, mit bunten Plastik-Preisschildchen an den Wipfeln. Der Baumhüter schlurft fröstelnd hin und her. Der Winter ist längst da, aber wo ist Weihnachten?
Die Verkäuferin ist jetzt fertig und dreht sich zu mir um. Wenn sie Schicht hat, ist das oberste Regal immer leer - nicht, weil ihr der Nachschub ausgegangen ist, sondern weil sie zu kurz ist. Um mühelos hinreichen zu können, füllt sie diejenigen Brote, die normalerweise ganz oben liegen, in die unteren Regale um. Sie ist um ungefähr zwei bis fünf Kopf kleiner als ich. Sie hat lustige braune Augen, rote Backen, struppiges kurzes Haar und eine Zwergenstupsnase.
“Es ist so schön warm bei Ihnen”, sage ich. Sie lacht. “Heute nicht, heute habe ich sogar Strümpfe an”, sagt sie. “Normal bin ich immer barfuß.” Dabei schiebt sie zwei Seelen in eine Tüte.
Sie ist bestimmt eine echte Zwergin. Die haben es immer ganz gemütlich, tief in ihrer Wurzelhöhle mitten im Wald. Da werden zusammen mit den Rotkehlchen, Eichhörnchen und Rehen den ganzen Abend lang Weihnachtslieder gesungen. Es gibt Zwergenlebkuchen mit Glühwein, und Fuchs und Hase schauen einträchtig zu. Die Zwerge sind, habe ich gehört, Weltmeister im Koordinieren, und äußerst patent, wenn es um die unauffällige Umsetzung von Event-Projekten geht.
So trug es sich also zu, daß der Wald sich auf Reisen begab. Die Fichten kleideten sich in flotte Netzmäntel. Sie steckten sich grüne, gelbe, blaue und rote Wimpel ins Haar und sprangen auf die Ladeflächen vollgetankter Sattelzugmaschinen, Agentinnen der Friedlichkeit. Die Zwerge verloren keine Zeit. Damit Weihnachten rechtzeitig beim Edeka ankommen würde, wurde der Himmel mit einem verdrossenen, pappnassen Vorhang zugehängt, die Backstube aber angeheizt und in emsigem Betrieb gehalten.
Wenn es dann soweit ist, sagen Fuchs und Hase gute Nacht. Alles nach Plan!
Na, dann frohe Weihnachten.