28. März 2008

Alles weiß

Schneestürme finden hier ohne großes Heulen und Zähneklappern statt; man hört nichts als stundenlanges, stetes Rieseln. Das sind die Schneeflocken. Ihre kriegerische Natur zeigt sich im Resultat: Notstand wird ausgerufen; rotbackige Nachbarn räumen Schnee, anstatt im Büro zu hocken; die Schulen schließen; und so weiter.
Aus dem Material, welches der Spaßvogel Winter über Nacht so verschwenderisch ausgekippt hat, könnte ich eine ganze Armee aus Schneemännern bauen, Legionen blendend weißer Prachtburschen, alle mit Stöcken und Besenstielen bewaffnet. Die schicke ich dann in den Wahlkampf. New York kann derzeit bestimmt ganz gut ein paar echte Saubermänner gebrauchen.
Nach ein, zwei sonnigen Tagen wäre der Spuk allerdings wieder ganz schnell vorbei.

5. Dezember 2007

Weihnachten, wir kommen

Manche Geschichten beginnen wie eine planlose Fahrt ins Nichts-Genaues-weiß-man-nicht. Exakt. Also bloß nicht nachdenken! Nicht nachdenken … irgendwas wird dann schon passieren. Ich weiß nur noch nicht wann, wo und warum.

Die Ihle-Verkäuferin zum Beispiel legt die heißen, frisch auf dem Ofen genommenen Semmeln zum Auskühlen auf einen Gitterrost. Die Semmeln duften herrlich - zwar nicht nach Lebkuchen, aber nach Backstube und Behaglichkeit. Draußen trotzt die eingezäunte Herde der Weihnachtsbäume dem eisigen Ostwind, mit bunten Plastik-Preisschildchen an den Wipfeln. Der Baumhüter schlurft fröstelnd hin und her. Der Winter ist längst da, aber wo ist Weihnachten?

Die Verkäuferin ist jetzt fertig und dreht sich zu mir um. Wenn sie Schicht hat, ist das oberste Regal immer leer - nicht, weil ihr der Nachschub ausgegangen ist, sondern weil sie zu kurz ist. Um mühelos hinreichen zu können, füllt sie diejenigen Brote, die normalerweise ganz oben liegen, in die unteren Regale um. Sie ist um ungefähr zwei bis fünf Kopf kleiner als ich. Sie hat lustige braune Augen, rote Backen, struppiges kurzes Haar und eine Zwergenstupsnase.

“Es ist so schön warm bei Ihnen”, sage ich. Sie lacht. “Heute nicht, heute habe ich sogar Strümpfe an”, sagt sie. “Normal bin ich immer barfuß.” Dabei schiebt sie zwei Seelen in eine Tüte.

Sie ist bestimmt eine echte Zwergin. Die haben es immer ganz gemütlich, tief in ihrer Wurzelhöhle mitten im Wald. Da werden zusammen mit den Rotkehlchen, Eichhörnchen und Rehen den ganzen Abend lang Weihnachtslieder gesungen. Es gibt Zwergenlebkuchen mit Glühwein, und Fuchs und Hase schauen einträchtig zu. Die Zwerge sind, habe ich gehört, Weltmeister im Koordinieren, und äußerst patent, wenn es um die unauffällige Umsetzung von Event-Projekten geht.

So trug es sich also zu, daß der Wald sich auf Reisen begab. Die Fichten kleideten sich in flotte Netzmäntel. Sie steckten sich grüne, gelbe, blaue und rote Wimpel ins Haar und sprangen auf die Ladeflächen vollgetankter Sattelzugmaschinen, Agentinnen der Friedlichkeit. Die Zwerge verloren keine Zeit. Damit Weihnachten rechtzeitig beim Edeka ankommen würde, wurde der Himmel mit einem verdrossenen, pappnassen Vorhang zugehängt, die Backstube aber angeheizt und in emsigem Betrieb gehalten.

Wenn es dann soweit ist, sagen Fuchs und Hase gute Nacht. Alles nach Plan!

Na, dann frohe Weihnachten.

7. November 2007

Jäger im Schnee

Der Walmart in Geneseo ist wild dekoriert mit ausgestopften Bären und Hirschen. Es ist Jagdsaison. In der Waffenabteilung wimmelt es von bärtigen, sich gewichtig gebenden älteren Herren. Die Kleiderständer quellen über von Camouflage-Kleidung, von Mützen, Jacken, Hosen, Handschuhen, Overalls, in den Regalen stapeln sich faltbare Jägerstände, Rucksäcke, Sitzkissen, alles im militärischen Farn-Unterholz-Design. Die Patronen im Sonderangebot sind fast ausverkauft.

Am frühen Vormittag hören wir Schritte vor dem Trailer und kurz darauf ein kräftiges Klopfen an der Tür. Es ist Kevin, der Jäger. Er ist der einzige, der im Hollow jagen darf, und das auch nur mit Pfeil und Bogen. Durch die geschlossene Tür hindurch berichtet er von Bärenspuren, die bis vor unseren Trailer führen. Das Bett steht direkt an der Tür, und so bleiben wir während der Unterhaltung einfach liegen. Normalerweise würde Kevin nie auch nur in Sichtweite des Trailers kommen. Aber es hatte geschneit in der Nacht, und die dünne weiße Schicht machte den Wald zu einem aufgeschlagenen Buch. Offensichtlich war er den Spuren gefolgt und wollte uns warnen.
Wir bedanken uns für die Auskunft und gähnen. Es ist sowieso viel zu früh zum Aufstehen.
Durch das große Fenster, direkt vom Bett aus, sehen wir den Jäger durch den Wald davonstapfen. Mit dem High-Tech-Bogen über der Schulter sieht er aus wie ein neuzeitlicher Soldat. Auch er ist ganz in Camouflage gekleidet. Nur die Pfeilschäfte leuchten signalrot. Er verschwindet wieder, wie kurz darauf auch der Schnee.