12. Juli 2008
Dieser Feldweg endet hier.
Wer an einem Feldweg sitzt und zeichnet, ist vor Überraschungen nie sicher. Das gleiche gilt natürlich für alle anderen, die ihn benutzen.
Da tuckert etwa der Bauer Anton auf seiner Zugmaschine heran. Ich nicke zurück. Kurz darauf biegt der Nachbar Müller, ebenfalls auf dem Traktor, um die gleiche Kurve. Er schaltet in den Kriechgang, während er sich schier den Hals verrenkt. Ich halte die Zeichenmappe hoch. “Schaut ja scho guat aus”, ruft er, ohne anzuhalten, aus dem Geknatter heraus. Er grinst, schaltet wieder hoch und gibt Gas.
Einer aus dem Trupp der Sportsfreunde, die zielgerade in einen Sack-Feldweg geradelt waren, ruft mir beim Wenden frech zu: “Wir wollten nur mit aufs Bild kommen!”
Ein Hase bleibt auf dem Weg hocken. Bussarde kreisen über mir, und im Unkraut zu meinen Füßen finden die reinsten olympischen Spiele statt.
Für weitere Studien stelle ich mir Autobahnraststätten, U-Bahnhöfe, Fußgängertunnel, Einkaufspassagen und ähnlich zivilisierte Plätze vor. Die Idylle kann ich dann schon selbst mitbringen.
1. September 2007
Die Schneeglöckchen-Oma
Sie heißt nicht wirklich so. Ihren Namen bekam sie wegen einer verwegenen, weil nicht angekündigten Schneeglöckchen-Ausgrab-Aktion in unserem Garten. Die Schneeglöckchen wachsen hier verschwenderisch wie Bergbäche, die sich dunkelgrün am Hang ergießen, mit weißen, zierlich im Märzwind wippenden Schaumkronen.
Die Schneeglöckchen-Oma kündigt sich nie an; manchmal ist es ihr Zweitakter-Deutz, der klappernd ihre Tour durchs Dorf dokumentiert. Manchmal schnauft sie am Stock daher. Oder sie schiebt einen Kinderwagen, in dessen Inneres Enkel und Gartenschere in trauter Eintracht gebettet sind. Sie zeigt mir, wie man den Hang mit der Sense mäht; sie liest mir aus der Sonntagszeitung vor, sorgfältig Blatt um Blatt wendend. Es geht um Ferkelzucht und Kochrezepte.
Sie kommt mit einem erlegten Gockel in der Hand, den sie mir stumm, aber triumphierend entgegengestreckt, eine kittelbeschürzte Botin des jüngsten Gerichts. Der Gockel baumelt vor meinen Augen.
“Mein Hund war es nicht!” schwöre ich. “Wieviel hätten Sie denn dafür gewollt?”
“Fünf Mark wären das schon gewesen,” lacht sie versöhnlich. Sie legt den Hühnerich wieder auf die Anhängerkupplung und gibt Gas. Das Tuckern wandert weiter. Es vermengt sich mit dem Röhren des Verkehrs auf der Hauptstraße; es wird leise und entschwindet dann gänzlich.
Wir leben hier an einem Autobahnzubringer. Dagegen kommen selbst die Schneeglöckchen nicht an.