21. November 2007

Die gute Fee von Sankt Anton

Dort, vom Edeka-Einkaufswagendepot her, leuchtet mir ein Regenbogen entgegen. Er ist auf die Rückseite eines Mantels appliziert.
Die Trägerin des Mantels hantiert mit Taschen, Körben und Tüten, lädt um und sortiert. Dann dreht sie sich zu mir und seufzt: “Ich bräuchte ein Taxi … !”
Oh, sie leuchtet auch von dieser Seite. Vielfarbig blitzende Edelsteinbroschen schmücken ihr Dekolleté, ein Smaragdring ziert ihre Hand, Ohrringe glitzern um die Wette mit dezenten Ketten, die um ihren Hals liegen wie ägyptischer Königinnenschmuck. Auch ihre Augen funkeln. Sie trägt Lippenstift. Sie scheint alterslos, ja geradezu jung; nur wenn sie ihren Mund aufmacht, ist sie eine rundliche kleine Oma, die gerade vom Edeka-Markt kommt.
“Ich habe zuviel gekauft”, sagt sie, “und jetzt weiß ich nicht, wie ich das alles heimbringen soll!”
Ich mache ihr Mut, indem ich freundlich zulächle. Ich bin auf dem Weg zur Konradmühle, der Schmelzerin das Eimerchen zurückzubringen, das sie mir für den Apfelsafttransport ausgeliehen hat.
“Da kommt bestimmt jemand vorbei, den ich kenne,” sagt die alte Dame und nickt liebenswürdig zurück.
Der Schmelzerhof befindet sich nicht weit vom Edeka. Rotbackig stapft die Schmelzerin herbei, um großzügig abzuwinken. Ja, ich weiß, sie haben genug Eimer, Eimerchen, Tonnen, Tröge, Töpfe, Wannen, Körbe, Kessel und dergleichen. Aber ich habe in meinem eigenen Bestand einen passenden, laubfroschgrünen Deckel gefunden, den wollte ich ihr nicht vorenthalten.
Die Oma steht jetzt an der Bushaltestelle, umgeben von Taschen, Tüten, Blumenstrauß und Korb. Ich halte an, steige aus und frage, ob ich sie nach Hause fahren darf.
Sie strahlt. Wir laden ein, und sie nimmt Platz. Sie hat sieben Kinder. Sie kommt aus Schlesien. Sie heizt mit Holz und Kohlen. Eine Tochter ist in Amerika. Ein Schwiegersohn bringt ihr das Holz. Ihr Mann ist schon gestorben. Ein Sohn ist Maurer. Sie hat gleich nach dem Krieg geheiratet. Sie wohnt in Sankt Anton. Sie kauft immer zuviel ein.
Und dort, am Betonpfosten, soll ich halten.
Sie wohnt in einem niedrigen Nachkriegs-Reihenhäuschen. Im Garten steht eine große Volière mit allerlei Getier darin, vielfarbigen Kanarienvögeln, Papageien, Hühnern, Pfauen, Truthähnen und Weihnachtsgänsen.
‘”Wieviel kostet es denn?” fragt mich die alte Dame. “Nichts, garnichts, um Himmels willen! ” rufe ich, “es war mir ein Vergnügen!”
“Dann nehmen Sie doch bitte wenigstens eine Kleinigkeit,” sagt sie, während sie wieder umpackt und sortiert. Sie reicht mir eine Packung Diabetiker-Marzipan. “Und”, fügt sie ernsthaft hinzu “Sie sollen einmal - ein Mal! - richtig Glück haben.” Ihre Augen glitzern saphirblau.
Ich habe es geahnt - jetzt weiß ich es! Sie ist eine gute Fee. Ich bilde mir das bestimmt nicht ein. Vielleicht waren die Hühner, Gänse, Pfauen und Truthähne nicht wirklich in ihrer Volière, sondern auf Schmelzers Hühnerhof, die Paradiesvögel in einem Reiseprospekt, und auch die Juwelen nur aus Plastik, made in China.
Aber der Wunsch war echt, richtig echt. Ich glaube jetzt einfach, daß man auch öfters richtig Glück haben kann; daß man es sogar aufteilen und weitergeben kann; wer weiß, ob es sich dann nicht sogar auf geheimnisvolle, ganz und gar anstrengungslose Weise vermehrt?