5. August 2008
Heute mit Sofa
Wo sind hier eigentlich die Leute?
Überall! Sie lümmeln auf dem Sofa, während der Mittag sich vor lauter Hitze überschlägt.
Sie schlendern, hüpfen, tänzeln, schlurfen, radeln durch das Bild, sie führen ihre Hunde aus, sie schleppen Tüten, Rucksäcke, Sperrholzplatten, sie fahren im Kinderwagen vorbei oder im Rollstuhl, sie füllen die Straße mit Gelächter, mit exotischem Singsang, mit am Handy geführten Küchentisch-Konversationen, mit kleinen Dramen, deren Sätze im Vorbeigehen fallen wie das trockene Laub des namenlosen Straßenbaums direkt vor mir, ohne Anfang und ohne Ende.
“Was machen Sie da überhaupt?” fragt mich eine ältere Dame, die sich an der auf dem Gehweg abgestellten Vespa vorbei an mich heranpirscht. “Wir sehen Sie schon die ganze Zeit von unserem Balkon aus!”
Das ist nicht so schwer zu erklären. Der Beifahrersitz meines geparkten Autos ist mein Arbeitsplatz. Ich halte den Zeichenblock hoch. “Das ist ja die Straße”, sagt sie, “sogar mit Sofa!”
Dieses ist wenig später verschwunden. Statt dessen steht ein zerfledderter Sessel vor dem übernächsten Eingang. Auch das Fahrrad lehnt nicht mehr an der Wand. Die leeren Weinflaschen sind inzwischen umgekippt. Sie waren so oder so nicht auf der Zeichnung.
Es riecht nach Hundekacke.*
*Anm.: Als Schlußsatz völlig ausreichend!
17. Juli 2008
Die Kunst des Filterns
Auf der Suche nach einem alpinen Motiv, einem schattigem Parkplatz und ein paar Stunden Ruhe (in dieser Reihenfolge) stößt man während jeder Phase ganz unweigerlich auf frustrierende Elemente, die flugs ausgefiltert werden wollen.
Wenn das nur so einfach wäre!
Hier zum Beispiel donnern mächtige Ausflugsbusse voller schwitzender Reisender quer durch die Szenerie; sie kommen in Endlosschleifen von rechts und von links und reichen bis knapp unter den oberen Bildrand. Die Staubhosen, welche sie aufwirbeln, sind mit den bitteren Schwaden ihrer Auspuffgase angereichert. Motorradfahrer hingegen verdecken gerade mal die vordersten Reihen des Tannengrüns, dafür hört man das Dröhnen ihrer schweren Maschinen über eine Distanz von mindestens fünfundvierzig (sauber hingelegten) Kurven. Es gibt nur diese eine Straße; sie ist der Trichter, ich filtere.
Wumm! Wumm! Wumm! Wumm! Wumm!
Auf dem fernen Gipfel* indes herrscht Ruh’; als ob es da sonst nichts zu tun gäbe.
*Zugspitze oder Watzmann?
13. Juli 2008
Ganz hinten sind auch Berge (nicht im Bild)
12. Juli 2008
Dieser Feldweg endet hier.
Wer an einem Feldweg sitzt und zeichnet, ist vor Überraschungen nie sicher. Das gleiche gilt natürlich für alle anderen, die ihn benutzen.
Da tuckert etwa der Bauer Anton auf seiner Zugmaschine heran. Ich nicke zurück. Kurz darauf biegt der Nachbar Müller, ebenfalls auf dem Traktor, um die gleiche Kurve. Er schaltet in den Kriechgang, während er sich schier den Hals verrenkt. Ich halte die Zeichenmappe hoch. “Schaut ja scho guat aus”, ruft er, ohne anzuhalten, aus dem Geknatter heraus. Er grinst, schaltet wieder hoch und gibt Gas.
Einer aus dem Trupp der Sportsfreunde, die zielgerade in einen Sack-Feldweg geradelt waren, ruft mir beim Wenden frech zu: “Wir wollten nur mit aufs Bild kommen!”
Ein Hase bleibt auf dem Weg hocken. Bussarde kreisen über mir, und im Unkraut zu meinen Füßen finden die reinsten olympischen Spiele statt.
Für weitere Studien stelle ich mir Autobahnraststätten, U-Bahnhöfe, Fußgängertunnel, Einkaufspassagen und ähnlich zivilisierte Plätze vor. Die Idylle kann ich dann schon selbst mitbringen.
6. Juli 2008
Brunnenhaus
5. Juli 2008
Ich sehe was, was du nicht siehst
Ich sehe was, was du nicht siehst, und seine Farbe ist grau;
sein Leib ist steinern, sein Wesen verborgen,
seine Stimme der Schlag der Glocke bei Tag und bei Nacht
und der Schrei des Falken, den er beherbergt.
30. März 2008
Der Tabak-Kauer
Immer, wenn der Tabak-Kauer aus dem Auto steigt, wundere ich mich, wie lange er das noch machen wird. Ich bin da sicher nicht die einzige. Meistens ist er der erste oder zweite in der Schlange der Fahrer, die auf den Truck warten.
Es ist jede Nacht das gleiche.
Manchmal liegt schwerer Nebel über dem Platz. Manchmal bläst ein scharfer, frostiger Wind. Manchmal regnet es. Dann spiegelt sich das Licht der Straßenlaternen orangefarben in den Pfützen und auf dem nassen, schwarzen Teer, und die dunklen Konturen des vor uns stehenden Wagens zerfließen mit den Tropfen auf unserer Windschutzscheibe.
Die Fahrer sind das Wetter gewohnt. In kalten Nächten lassen sie die Motoren laufen. Die Lichter bleiben ausgeschaltet, bis der Truck um die Ecke biegt. Sonst ist niemand da. Es gibt nur die zwei breiten, ringsum von Garagentoren gesäumten Gassen. Hier wird die druckfrische Ausgabe des C&D an die Zeitungskuriere verteilt. Jeder hat eine andere Route zu fahren; manche davon führen weit hinaus, tief in die einsamen Ecken und Winkel von Steuben County, und dauern bis zum Morgengrauen.
Es kann passieren, daß ein Fahrer beim Warten einschläft und nicht aufwacht, wenn der Truck da ist. Dann ziehen diejenigen, die hinter ihm stehen, an ihm vorbei, und falls der letzte nicht an seine Scheibe geklopft hat, tut es der Truckfahrer. Es ist kurz nach Mitternacht; die meisten haben noch einen Hauptjob, den sie tagsüber ausüben. Ein zweiter Job wird bei der Einstellung dringend empfohlen. Die Bezahlung ist schlecht, kein Mensch kann wirklich davon leben.
Diejenigen, die noch später kommen, finden ihre gestapelten Bündel in der vom C&D angemieteten Garage. Dort steht auch der Container zur Entsorgung übriggebliebener Zeitungen und Prospekte.
Oft steigen die Fahrer aus und stehen zusammen, um zu ratschen. Der Tabak-Kauer bleibt im Auto sitzen. Nicht, daß er nichts zu sagen hätte; die anderen scharen sich mit Vorliebe um sein geöffnetes Wagenfenster. Seine Stimme ist die lebhafteste und sein Lachen das lauteste von allen. Dann scheint es, als zittere und bebe sein Wagen.
Einer der Fahrer schiebt jetzt das Garagentor hoch. Das heisere Rasseln vermischt sich mit dem Knallen von Autotüren, dem Brummen der wieder angelassenen Motoren und dem Quietschen von Bremsen, als der Truck neben der Garage zum Stehen kommt. Scheinwerfer flammen auf. Der Truckfahrer springt aus dem Führerhaus und öffnet die seitliche Schiebetür. Die Schlange setzt sich in Bewegung.
Wenn er nicht Zeitungen ausfahren würde, sagt der Tabak-Kauer, würde er nur vor dem Fernseher sitzen. Die Zeitungstour hält ihn am Leben. Er ist schon sechzig, aber seine Haare sind noch dunkel. Sie hängen unter dem Rand seiner Schiebermütze in den Nacken wie Algen aus einem Schiffswrack. Er trägt immer die gleiche Mütze. Er hat Diabetes.
Während er sich aus dem Auto wuchtet, ächzt die Karosserie und federt dann, vom Gewicht befreit, nach oben. Autos haben ihre eigene Sprache. Sie sprechen Dinge aus, für die ihre Besitzer keine Worte haben, und werden, wie in einer alten Ehe, ohne viel Worte verstanden.
Der Tabak-Kauer spuckt auf den Boden; er schwankt, eine Hand am Kotflügel abstützend, die andere zur Balance schlenkernd, um den Wagen herum zur rechten hinteren Tür, öffnet sie, packt die Zeitungsbündel, die auf der Ladefläche des Trucks bereitliegen, am Halterband, eines nach dem anderen, und wirft sie, als wären es schwerelose Bälle, ins Wageninnere; dort türmen sie sich zu einem Berg. Mit jedem Bündel sinkt das Heck tiefer.
Dann beginnt die Route.
29. März 2008
Frontier
28. März 2008
Alles weiß
Schneestürme finden hier ohne großes Heulen und Zähneklappern statt; man hört nichts als stundenlanges, stetes Rieseln. Das sind die Schneeflocken. Ihre kriegerische Natur zeigt sich im Resultat: Notstand wird ausgerufen; rotbackige Nachbarn räumen Schnee, anstatt im Büro zu hocken; die Schulen schließen; und so weiter.
Aus dem Material, welches der Spaßvogel Winter über Nacht so verschwenderisch ausgekippt hat, könnte ich eine ganze Armee aus Schneemännern bauen, Legionen blendend weißer Prachtburschen, alle mit Stöcken und Besenstielen bewaffnet. Die schicke ich dann in den Wahlkampf. New York kann derzeit bestimmt ganz gut ein paar echte Saubermänner gebrauchen.
Nach ein, zwei sonnigen Tagen wäre der Spuk allerdings wieder ganz schnell vorbei.
10. Februar 2008
Europa, du Glorreiche
Ich stehe an der Bushaltestelle in Bath. Der einsetzende Nieselregen malt feine, sich kreuzende Linien in die Wasserlachen.
Über New York wird wahrscheinlich mehr berichtet als über das hinterländische Bath, deshalb überspringe ich das Kapitel ‘Mit dem Shortline-Bus nach New York und zurück’. Shortline kann hier jeder selbst googeln. Ich will mich auch nicht über Manhattans Last-Minute-Wahlkampanien verlieren, noch abschweifen, indem ich über die 300 Straßenkehrer schreibe, welche nach der Riesen-Sieger-Parade 36,5 Tonnen Konfetti zusammenfegten, obwohl sie das verdient hätten; geschweige denn über die akustischen Schrullen eines Brooklyner Heizkörpers. New York City ist ein Heuhaufen von ungefähr 206 Millionen Suchergebnissen, was wollte ich eigentlich sagen?
Eine Bö kickt den aufgespannten Regenschirm, den jemand im Eingang der Reinigung abgestellt hat, in die Seite; jetzt tanzt er über den Gehweg.
Die Reinigung befindet sich gleich neben der Bushaltestelle. Diese ist eigentlich eine Tankstelle, aber mit so viel Drum und Dran ausgestattet wie fast alles hierzulande. Man erhält Bustickets, heißen Kaffee, Zeitschriften, Lotterielose. Die Leute kommen zum Ratschen, wie zum Beispiel Joey, ein junger Schwarzer, den ich hier nur so nenne, weil ich nicht weiß, wie er in Wirklichkeit heißt.
“Hallo, wie geht’s”, sagt er im Vorbeischlendern.
“Wunderbar”, sage ich. Gerade habe ich den nassen Schirm eingefangen und wieder in den überdachten Eingang gestellt, unter dem auch ich Schutz suche. Ich warte darauf, abgeholt zu werden. In einem Nest wie Bath fällt man als Fremder auf, vor allem, wenn man länger als fünf Minuten im Regen steht.
“Ist das dein Schirm?” fragt Joey.
Ich habe bisher nur wenige Schwarze in Bath gesehen, und noch nie hat mich ein Bather angesprochen.
“Nein”, sage ich, “er gehört dem Wind!”
Joey hat keine Lust weiterzugehen. Die Straße ist bis hinter zur letzten Kreuzung von parkenden Autos gesäumt, aber die hat er alle schon auf dem Herweg studiert.
“Kann ich dich vielleicht irgendwohin einladen?” fragt er.
“Nein danke, wirklich nicht, ich werde gleich abgeholt”, sage ich.
“Ich kann dich ja nach Hause fahren”, bietet Joey an. “Das mache ich gerne!” Sein Blick schweift über meine Figur. Ich muß lachen. Ich könnte locker seine Urgroßtante sein!
“Nein, die kommen sicher jeden Moment”, sage ich.
“Wo kommst du eigentlich her? Du hast so einen komischen Akzent!” fragt Joey.
“Aus Europa.”
Joey grinst noch breiter. Er tänzelt ein paar Schritte rückwärts und wirft dabei die Arme hoch.
“Ich hab’s gewußt”, ruft er, “ich hab’s gewußt! Aus Europa! Aus Europa! Ja! Ja!! Jaaa!!!”
Sein Team hat gewonnen, absolut.
Meines auch! Es heißt Bath, hier ist ein kleiner Link zum Abschied.